Der Umfang der wirtschaftspolitischen Berichterstattung durch ARD und ZDF ist beachtlich: Nachrichtensendungen, Talkshows und Politmagazine widmen rund ein Fünftel ihrer Sendezeit wirtschaftspolitischen Fragen. Allerdings wird die Themensetzung stark von der Bundespolitik getrieben und die Kontinuität und Kontextualisierung der Berichterstattung lassen zu wünschen übrig. Darüber hinaus mangelt es insbesondere den Wirtschaftsmagazinen an Perspektivenvielfalt. Das sind zentrale Ergebnisse der Studie „Viel Kraft – wenig Biss. Wirtschaftsberichterstattung in ARD und ZDF“. Die Analyse, die Henrik Müller, Professor für Wirtschaftspolitischen Journalismus am Institut für Journalistik (IJ) der TU Dortmund, und Gerret von Nordheim, früher Mitarbeiter am IJ, erarbeitet haben, wurde heute von der Otto Brenner Stiftung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund veröffentlicht.
Für die Untersuchung wurden knapp 5.800 Sendungen mit rund 3.400 Stunden Programm vom Herbst 2022 bis Frühjahr 2023 aufgezeichnet und mittels computergestützter Methoden der Medienanalyse ausgewertet. „Wir haben uns intensiv mit den verschiedenen Sendungen beschäftigt, die wirtschaftspolitische Inhalte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen transportieren. Dabei hat uns das insgesamt relativ große Sendevolumen für Wirtschaftsthemen sowie die Vielfalt an Formaten und Perspektiven positiv überrascht“, sagt Autor Gerret von Nordheim. Im Gesamtbild sei die wirtschaftspolitische TV-Berichterstattung jedoch „vergleichsweise zahm – in dem Sinne, dass sie sich in weiten Teilen eng an der Agenda des politischen Berlins orientiert und wenig eigene Themenschwerpunkte setzt, mit denen sie die Verantwortlichen konfrontieren würde“, so Autor Henrik Müller. Die Konzentration auf den tagespolitischen Streit der Berliner Politik hat drüber hinaus zur Folge, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, dass sich die Berichterstattung oft weniger mit der Sache selbst als mit dem politischen Tauziehen drumherum und dem Austausch von Meinungen und Forderungen befasst. Insbesondere beim Thema Sozialpolitik leide darunter die Qualität der Beiträge merklich. „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist ein wichtiges Instrument, um populistische Verkürzungen und Zuspitzungen zurückzudrängen“, so Müller. „Es sollte diese Rolle aktiver ausfüllen. Der nüchterne wirtschaftspolitische Blick ist besonders geeignet, die inhaltliche Leere des Populismus zu entlarven.“
Kritisch beleuchten die Forscher in diesem Zusammenhang die Rolle der Wirtschaftsmagazine. Diese adressieren ihr Publikum in rund 65 Prozent der untersuchten Programminhalte als Verbraucher:innen. Um den aufgezeigten Schwachstellen entgegenzuwirken, schlagen die Autoren vor, ein „Ständiges Wirtschaftspolitisches Format“ in die Berichterstattung von ARD und ZDF zu integrieren. Denn grundsätzlich, so heißt es in der Studie, habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk allemal das Potential, „in einer Welt der überwiegend digitalen Mediennutzung die Balance zwischen Aufklärung und Aufmerksamkeit gerade für den Wirtschaftsjournalismus zu gewährleisten“.
Die vorliegende Untersuchung knüpft an die langjährige Zusammenarbeit im Rahmen des Dortmund Center for data-based Media Analysis (DoCMA) an, das von den beiden Studienautoren mitinitiiert wurde. Dieser einzigartige Verbund aus Kommunikations- und Datenwissenschaften fokussiert sich auf die Entwicklung und Anwendung algorithmusbasierter Methoden zur Erforschung öffentlicher Kommunikation und ihrer Wechselwirkungen mit ökonomischen Prozessen. Seit vorigem Jahr kooperieren DoCMA-Forscher zudem mit Ökonom:innen der übrigen Ruhr-Universitäten und des Essener RWI im Rahmen der Narrative Economics Alliance Ruhr (NEAR).
Kontakt:
Prof. Dr. Henrik Müller
Technische Universität Dortmund
Telefon: +49-171-523 76 23
E-Mail: henrik.mueller(at)tu-dortmund.de